Das im Alltag gängigste Konzept von Kommunikation ist wohl das Sender-Empfänger Modell. Dabei liegt der Fokus auf Seiten des Senders, der mit seiner Nachricht versucht Informationen an sein Gegenüber zu übermitteln. Luhmann unterscheidet auch zwischen zwei Instanzen, oder wie er es charmant formuliert: „informationsverarbeitende Prozessoren“. Er nennt sie „Alter“ und „Ego“ im Gegensatz zu „Sender“ und „Empfänger“. „Alter“, der „Sender“, der etwas mitteilen möchte und „Ego“, also „Ich“, der Adressat. Bei Luhmann können beide Prozessoren, nicht nur psychische Systeme, also einzelne Personen, sondern auch soziale Systeme sein. Das ist bereits ein erster Unterschied zum gängigen Kommunikationsverständnis.

Kommunikation ist Selektion 

Die Vorstellung der gängigen Kommunikationstheorien, es handle sich um eine Art Signalübertragung, bei der der Sender die Zustände des Empfängers geradlinig kausal festlegt, lehnt Luhmann vehement ab. Denn in dieser von mir stark vereinfachten Beschreibung des Sender-Empfänger Modells liegen zwei Annahmen verborgen. Zum einen, dass „Information“ als solches in der Welt existiere und zum anderen sich auch noch von einem Träger zum nächsten übertragen ließe. Als Konstruktivist geht Luhmann davon aus, dass Information erst durch einen Beobachter konstituiert wird. „Informationen kommen nicht in der Umwelt, sondern nur im System selbst vor. Sie können also nicht als identische Einheiten aus der Umwelt in das System transportiert werden. […] Es hat also keinen Sinn zu sagen, dass in der Umwelt massenhaft Informationen vorliegen.“ (Einführung in die Systemtheorie. Niclas Luhmann, S.129, 2002)

Ein weiterer Unterschied ist daher, dass „Information“ auch ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist. Deshalb definiert er Kommunikation als „eine Synthese aus drei Selektionen [..] Information, Mitteilung und Verstehen.“ (Niclas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft 1997). Dabei ist die Selektion der Information und der Mitteilung „Alter“ zuzuordnen und die Selektion des Verstehens bei „Ego“. Dahinter versteckt sich eine Auffassung, die zu grundlegend anderen Erkenntnissen führt als über die üblichen kommunikationswissenschaftlichen Ansätze. Entlang dieser drei Selektionsprozesse werden wir im Folgenden den Kommunikationsbegriff schärfen. Vorab noch ein paar Anmerkungen von Luhmann.

„Kommunikation ist Prozessieren von Selektion. […] Jede Selektionsentscheidung ist kontingent, das beutetet immer auch anders möglich.“ (Luhmann 1984, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie). „Kommunikation ist allgemein dazu da, eine Information mitzuteilen, die auch anders ausfallen könnte.“ (Luhmann Short Cuts 2001)“Kommunikation besteht aus Information, Mitteilung und Verstehen. Jede dieser Komponenten ist in sich selbst ein kontingentes Vorkommnis.“ (Luhmann 1997, Die Gesellschaft der Gesellschaft)

Eine Entscheidung für etwas ist gleichzeitig auch immer eine Entscheidung gegen etwas anderes. Welche Information gewählt wurde (und damit viele andere Informationen nicht), welche Mitteilung (und damit viele andere Mitteilungsmöglichkeiten nicht) und auf welche Art und Weise verstanden wird (oder auch nicht) ist das Ergebnis einer Wahl aus unendlich vielen Möglichkeiten. Es hätte auch immer anders sein können. Der Möglichkeitsraum ist überabzählbar unendlich, wird jedoch durch „Sinn“ eingeschränkt. Nicht alles ist in jedem Kontext sinnvoll kommunizierbar. Erst in der Kommunikation selbst wird der Sinn erschlossen.

Selektion der Information

Information ist „ein Unterschied, der einen Unterschied macht“, um es mit den Worten von Gregory Bateson auszudrücken. Ob etwas als Information wahrgenommen wird, ist einzig und allein eine Entscheidung des verarbeitenden Systems selbst. „Information ist ein systeminternes Produkt.“ (Luhmann, 1995 Die Kunst der Gesellschaft). Machen wir es konkret.

Du möchtest mit deinem Partner oder deiner Partnerin frühstücken. Dafür möchtet ihr frische Brötchen kaufen. Du hast vergangene Woche beobachtet, dass zwei Parallelstraßen von euch entfernt ein neuer Bäcker eröffnet hat. Durch die Differenz Bäcker vorhanden / nicht vorhanden hast du die Welt beobachtet und die Erkenntnis konstruiert, dass es an jenem Ort einen neuen Bäcker gibt. Nur das initiale Erkennen des Bäckers war ein Reiz, der systemintern (in dir) einen neuen Unterschied erzeugt hat. Mit der Unterscheidung „Bäcker vorhanden / nicht vorhanden“ hast du die Welt beobachtet und daraus einen neuen Unterschied „Bäcker an jenem Ort / nicht an jenem Ort“ erzeugt. Das ist Information und dadurch ein einmaliges Ereignis. Ein erneuter Reiz, wie z.B. euer Nachbar, der dich auf den Bäcker aufmerksam macht, erzeugt keine neue Erkenntnis, denn sie ist ja schon von deinem System verarbeitet worden und somit in dir vorhanden. Das sind Daten.

Die Differenz „Bäcker an jenem Ort vorhanden / nicht vorhanden“ wählst du aus einer unendlichen Anzahl von anderen möglichen Differenzen aus und entscheidest nun über die Art und Weise der Mitteilung.

Selektion der Mitteilung 

Die Mitteilung ist der wohl unstrittigste Teil der Kommunikation. Da Information immer nicht trivial, d.h. nicht offensichtlich ist und sich daher auch nicht von selbst erklärt, muss es zwangsläufig auch zu einer nicht trivialen Mitteilungsselektion kommen. Darüber hinaus ist nicht nur die Form, sondern auch das Medium zu wählen. Findet die Mitteilung schriftlich, mündlich, bildlich, textlich, verbal, nonverbal, gedruckt, elektronisch usw. statt. Auch überhaupt nichts mitzuteilen, steht zur Wahl. „Eine Mitteilung ist also immer eine Selektion: eine Entscheidung für eine bestimmte Information, gegen andere mögliche; für bestimmte inhaltliche Sinnvorschläge und formale Darstellungsweisen, gegen andere mögliche.“ (Margot Berghaus, Luhmann leicht gemacht 4. Auflage S.81) Entscheidend im Kommunikationsverständnis von Luhmann ist, dass es bei Alter eine Differenz gibt zwischen der ersten Selektion „Information“ und der zweiten „Mitteilung“.

Selektion des Verstehens

Die dritte und letzte Selektion ist dem Empfänger, also „Ego“ zuzuschreiben. Sie ist die entscheidende Selektion, denn erst mit ihr kommt nach Luhmann Kommunikation zustande. Luhmann denkt die Kommunikation vom Empfänger her und nicht wie üblich vom Sender. „Kommunikation kommt tatsächlich erst mit ihrem Abschluss im Verstehen zustande.“ (Niclas Luhmann, die Gesellschaft der Gesellschaft 1997, S.259). Verstehen beinhaltet auch das nicht Verstehen. Es geht nicht um inhaltliche Verständigung oder Konsens, sondern die Mitteilung des Senders, als solche zu identifizieren und sie zu interpretieren. Und das ist das geniale an Luhmanns Kommunikationsbegriff. Denn damit führt die reine Auffassung der Mitteilung dazu, dass der Empfänger weiß, dass der Sender über mehr Informationen verfügt, als er mitteilt und dass er sich für eine Mitteilung und gegen andere entschieden hat. D.h. das „Verstehen“ der Mitteilung bedeutet die Unterstellung der Differenz zwischen Information und Mitteilung beim Sender. Egos Selektion beinhaltet demnach Selektion eins und zwei. „Kommunikation kommt aber nur dadurch zustande, dass zwischen Mitteilung und Information unterschieden und der Unterschied verstanden wird.“ (Die Gesellschaft der Gesellschaft 1997, S.97) Das erzeugt zwangsläufig einen Verdacht beim Empfänger und macht Anschlusskommunikation wahrscheinlicher. Warum hat er sich für diese Mitteilung entschieden? Was hat er nicht gewählt? Warum gerade jetzt? Was hat er möglicherweise bewusst verschwiegen? „Entscheidend ist, dass die dritte Selektion sich auf eine Unterscheidung stützen kann, nämlich auf die Unterscheidung der Information von ihrer Mitteilung. Da dies entscheidend ist und Kommunikation nur von hier aus verstanden werden kann, nennen wir den Adressaten Ego und den Mitteilenden Alter.“ (Niklas Luhmann – Soziale Systeme, 1984, S.195)

Nochmal zusammengefasst. Luhmanns Kommunikationsbegriff grenzt sich deutlich von dem alltagssprachlichen Kommunikationsverständnis ab – mit weitreichenden Konsequenzen.

Zum einen kommuniziert nur die Kommunikation, also das soziale System, keine Menschen. Sie sind als Einheit aus biologischem und phsychischem System eine Voraussetzung für die Kommunikation aber nicht Bestandteil dessen.

Denn sie ist die Einheit aus der dreifachen Selektion Information, Mitteilung und Verstehen. Nicht die Mitteilungsabsicht des Senders (Alter), sondern die Interpretation der Differenz zwischen Information und Mitteilung des Empfängers (Ego) entscheidet darüber, ob Kommunikation vorliegt oder nicht.

Daraus lässt sich auch direkt schlussfolgern, dass die Kommunikation keinen Zweck verfolgt. Sie prozessiert einfach nur und wegen ihrer inhärenten Unvollständigkeit macht sie Anschlusskommunikation wahrscheinlicher.

Luhmann bricht auch mit Konzept der Informationsübertragung, denn Informationen sind Irritationen denen Informationswert zugeschrieben wird und daher nicht per se in der Natur vorhanden. Sie sind subjektive Konstrukte.

Was können wir daraus bisher lernen?

Dass eine Organisation ihre Tätigkeiten koordinieren kann liegt nur daran, dass Kommunikation nicht auf die Interaktion zwischen Anwesenden zur selben Zeit am selben Ort begrenzt ist. Medien ermöglichen Fernkommunikation und damit die Möglichkeit die Grenzen zwischen Raum und Zeit zu überschreiten, um die Aktionen vieler Individuen an unterschiedlichen Orten abzustimmen. Der Trick überlebensfähiger Organisationen ist also der, dass sie durch ihre eigenen Routinen dafür sorgt, dass die Teilnehmer an Kommunikationen austauschbar bleiben, während Kommunikationsmuster reproduziert und erhalten werden können.

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