Agilität heißt heutzutage auch meist: Abschaffen von Hierarchie. Doch das ist unrealistisch und meist auch naiv. Damit setzt die agile Bewegung ihren Holzweg weiter fort. Agilität ist zur Management-Mode geworden. Und wie alle Moden vor ihr auch, adressiert sie mittlerweile im Kern kein Problem des Marktes mehr, sondern eine Angst. Eine Angst, die inhärenter Bestandteil jedes Unternehmens ist und auch nie verschwinden wird. Nämlich die Angst vor dem Aus – dem wirtschaftlichen Tod.

Wer sich heute nicht agil aufstelle, wird in ein paar Jahren nicht mehr existieren – so die Prediger.

In einem älteren Artikel habe ich bereits erste Argumente angeführt, warum Hierarchie wichtig ist. Mit diesem Artikel möchte ich diese Liste erweitern.

Hierarchie spielt das Spiel der Zukunft

Da Organisationen als soziale Systeme von ihrer Umwelt erzogen werden, müssen sich innerhalb Strukturen bilden, die die Bedürfnisse der Außenwelt (Markt) befriedigen können. Alles was sich als nicht destruktiv oder schädlich erweist, wird beibehalten, weil es eine nicht schädliche Funktion übernimmt. Also ist die Frage, welche Funktion(en) hat Hierarchie? Eine davon ist das Spiel der Zukunft zu spielen. Während ein Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel in der Peripherie (Operative) für das Befriedigen von heutigen Kundenbedürfnissen eingesetzt werden, wird ein weiterer Teil im Zentrum (Strategie) dafür genutzt, um auch in der Zukunft weiterhin Wertschöpfung betreiben zu können. Deshalb hat das Zentrum u.a. die Funktion einen anderen Zeithorizont zu betrachten und im engen Kontakt mit den wesentlichen Umwelten zu stehen.

Hierarchie macht unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlich

Darüber hinaus führt Hierarchie und damit Macht dazu, dass unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlicher wird. Und mit Kommunikation ist hier die dreifache Selektion aus Information, Mitteilung und Verstehen gemeint, was bereits in einem anderen Artikel näher erläutert wurde.

Denn die Frage ist, wie es zur Kommunikation kommt, obwohl sie äußerst unwahrscheinlich ist. Es könnte schließlich auch ganz anders sein und die nahezu unendliche Vielzahl an Möglichkeiten anderes zu tun, reduziert die Wahrscheinlichkeit weiter. Warum sollte ich die Zahlung meines Gegenübers bei dem Verkauf eines Gegenstandes annehmen? Warum arbeite ich an einem wissenschaftlichen Text? Warum sollte ich die Anweisung meines Chefs befolgen?

Die Frage, die Systemtheoretiker interessiert, ist, warum Kommunikation fortgeführt wird, obwohl sie zunehmend unwahrscheinlicher wird? Z.B. hat sowohl die Ausdifferenzierung der Sprache als auch die Verschriftlichung, die die räumliche und zeitliche Reichweite von Kommunikation massiv ausgedehnt hat, die Erfolgswahrscheinlichkeit für Kommunikation im Luhmannschen Sinne extrem verringert.

Die Antwort auf diese Probleme liefert Luhmann mit den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Und Macht ist eines davon. Geld, Liebe, Glaube und Wahrheit sind weitere, jeweils für das gesellschaftliche Funktionssystem Politik, Wirtschaft, Familie, Religion und Wissenschaft.

Macht motiviert zur Kommunikation. Als Angestellter tue ich Dinge, die ich ohne die möglichen Konsequenzen der formalen Macht nicht tun würde. Und ich kann unter dem Deckmantel der Macht, Kommunikationen in der Organisation weiterreichen (Der Chef hat nach xy gefragt, kannst du das bitte übernehmen?)

Macht wird als Symbol markiert, weil es nicht die eine „Macht“ gibt. Und nur weil ich Macht habe, ist unklar, inwieweit diese auch genutzt wird. Ich beziehe mich lediglich auf das Symbol der Macht – kann es also weitergeben – und davon ausgehen, dass andere das Symbol aufrufen und „genauso“ Gebrauch davon machen. Generalisiert bedeutet dann lediglich, dass das Symbol über meinen spezifischen Zusammenhang hinaus generalisiert wird und an anderer Stelle zur Geltung gebracht werden kann.

Durch ihre Selektivität – es geht auch als Angestellter im Wirtschaftssystem nur um Zahlung / nicht Zahlung und daher muss ich nicht auch gleichzeitig ein guter Ehemann sein, an Gott glauben oder die Wahrheit herausfinden – motiviert das Medium Macht zur Fortführung der Kommunikation und dadurch trägt es zum Fortbestand von Organisationen bei.

Macht ist also notwendig und bahnt sich seinen Weg. Wenn sie nicht ausreichend anwesend ist (z.B. in Form von Hierarchie), findet sie einen anderen Weg, um die oben genannte Funktion zu erfüllen. Ob dieser dann besser oder schlechter ist, ist unklar. D.h. das undifferenzierte Abschaffen von Hierarchien, kann in Organisationen, in denen Macht einen wesentlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Unternehmens leistet (z.B. weil die Umwelt stark politisch geprägt ist) ungewünschte Nebeneffekte erzeugen.

Steuerung ist das falsche Instrument für Überraschungen

Der Schrei nach flachen Hierarchien ist deshalb genauso die Fortsetzung des Holzweges, wie das Vorhaben, die Belegschaft an allen Entscheidungen zu beteiligen. Wenn wir davon ausgehen, dass Organisationen Wertschöpfung für ihre Kunden betreiben müssen, um dadurch mehr Geld einzunehmen als auszugeben, dann ist das Lösen von Problemen des Marktes die Hauptaufgabe jeder Organisation.

An jenen Stellen einer Organisation, an denen Steuerung dysfunktional wird, weil sie als Managementinstrument nicht zu der Art von Problemen passt, die sie vorgibt lösen zu wollen, helfen flache Hierarchien auch nicht weiter. Denn die Grundidee ist derselbe. Nämlich Steuerung – also das Lösen von Problemen durch das zur Verfügung stellen von Wissen. Ob nun flach oder steil, der Unterschied ist in der Wirkung marginal.

Es braucht also eine Alternative für jene Stellen der Organisation, wo das Maß an Überraschung dauerhaft hoch ist, also genau die Probleme, für die es noch kein Wissen geben kann – sonst wären es ja keine Überraschungen. Hier wird der Steuerungsimpuls zur Havarie. Und die Alternative heißt „Führung“.

Führung ist allerdings, wie alle sozialen Phänomene, nicht kausal erzeugbar. Sie ist ein Mechanismus, der durch das System einzelnen Akteuren zugeschrieben wird. Führung ist sozial legitimiert. Anders ausgedrückt: Führung ist das, wenn andere einem freiwillig folgen. Und das entscheiden andere, nicht man selbst.

Die Aufgabe von Führungskräften ist es dann, Probleme zu adressieren und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, sodass Könner die Möglichkeit haben, abseits der Norm in Schutzräumen, das zu tun, was sie am besten können: Probleme lösen. Damit sie das effektiv tun können, brauchen sie formal Mächtige, die sie schützen, aber sie in Ruhe lassen.

Mehr zu dem Thema auch im Podcast von David Symhoven auf Spotify oder Apple Podcast und überall wo es sonst Podcasts gibt.

Foto von Max Kleinen auf Unsplash